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Der Blick, die Haltung und warum wir mehr Peripherie brauchen

Wir leben in einer Zeit, die vom Fokus geprägt ist: Stundenlang schauen wir auf Bildschirme, Handys oder Dokumente. Unser Blick wird eng, starr und auf ein kleines Feld gerichtet.

Diese „Tunnelperspektive“ ist eine logische Folge moderner Arbeits- und Lebensbedingungen – und sie hat Nebenwirkungen:

👉 Wir verlieren das Bewusstsein für unsere Umgebung, unsere Wahrnehmung wird eingeschränkt.

👉 Unser Nervensystem gerät in einen Anspannungsmodus,

👉 es kommt zu Verspannungen körperweit, meist zuerst spürbar im Nacken. Auch unsere Augen nehmen Schaden.

👉 unsere Körperhaltung wird instabiler, weniger flexibel und frei.

 

Doch es gibt eine einfache Ressource, die kaum einer bewusst nutzt:: den peripheren Blick.

Mehrere Studien zeigen, dass unser peripheres Sehen eine entscheidende Rolle für Haltung und Bewegung spielt:

Das sagt die Wissenschaft

  • Stabilität durch Peripherie: Forschungen belegen, dass wir ohne periphere Informationen stärker schwanken. Unser Körper verlässt sich also besonders auf das, was „am Rand“ unseres Blickfeldes geschieht. [1].                    
  • Bewegte Reize im Umfeld: Bewegungen in unserem seitlichen Sichtfeld beeinflussen unmittelbar unsere Körperbalance. Das Nervensystem reagiert auf kleinste Veränderungen, um uns im Gleichgewicht zu halten. [2]
  • Blick und Haltung: Wo wir hinschauen, bestimmt, wie stabil wir stehen. Ein starrer Fokus kann die Balance verschlechtern, während ein weiter, peripherer Blick Haltung und Bewegung harmonisiert. [3]
  • Bewegungsmuster und Blick: Selbst unsere Bewegungswege – etwa beim Ausweichen von Hindernissen – verändern sich, je nachdem ob wir etwas zentral oder peripher wahrnehmen. [4]

Was heisst das für die Körperarbeit mit Rolfing?

Ein weiter Blick bedeutet mehr Freiheit. Peripheres Sehen öffnet neben der visuellen Wahrnehmung auch unsere Haltungs- und Bewegungsmuster. Ein enger, oft fokussierter Blick führt zu Enge in Wahrnehmung und Haltung. Wir schalten wichtige Stabilitäts- und Bewegungsressourcen ab. Der Blick – ob eng fokussiert oder weit und peripher – beeinflusst also, wie wir uns organisieren, wie wir gehen, stehen und uns im Raum bewegen.

Genau diese Zusammenhänge nutzen wir beim Rolfing.

 

Die manuelle Arbeit beim Rolfing und die Wahrnehmung gehören zusammen, denn die Faszien spielen bei unserer Wahrnehmung eine entscheidende Rolle - mit ihren unzähligen neuronalen Rezeptoren.

 

Da ist die feine Innenwahrnehmung: Wie fühlen sich Aufrichtung, Atmung und Spannung im Körper an? Wie fühlen sich die Füße am Boden an, fühlen wir uns gut unterstützt? 

 

Auch die Wahrnehmung des Raums um uns herum wird durch Rolfing gefördert. Je gelöster und offener Körperhaltung und Bewegungen im Lauf der Sitzungen werden, desto offener nehmen wir unser Umfeld wahr und können uns sicherer darin orientieren.

 

Wenn wir uns angewöhnen, so oft wie möglich einen peripheren Blick in unseren Alltag einzubauen, unterstützen wir eine Haltung, die zugleich stabil und frei ist. Ein täglicher Spaziergang in der Natur ist die beste Gelegenheit.  Aber auch mit einer kurzen Übung lässt sich die Wirkung des peripheren Blicks deutlich spüren:

 

 

 

• Schau von deinem Bildschirm auf,

• lass den Blick weich und weit werden,

• nimm den Raum links und rechts, oben und unten bewusst wahr.

 

Beobachte, wie sich deine Atmung, deine Haltung im Sitzen und dein Gefühl im Körper verändern.


Quellen der Studien:

[1] The functional role of central and peripheral vision in the control of posture – https://www.researchgate.net/publication/7433002_The_functional_role_of_central_and_peripheral_vision_in_the_control_of_posture

[2] The influence of peripheral vision induced by moving people on postural control – https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5091055/

[3] Gaze and viewing angle influence visual stabilization and posture – https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC3217671/

[4] The Effect of Gaze Position on Reaching Movements in an Obstacle Avoidance Task – https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0144193